Legende zu Gast in der Ahlener Schuhfabrik

Eine Legende des Krautrocks (ja, auch diese Band mag diese Einordnung nicht) und eine der dienstältesten Bands der Welt, Guru Guru, machte am Samstagabend Halt in der Schuhfabrik Ahlen.

Guru Guru im Bürgerzentrum Schuhfabrik in Ahlen

Pedda Scheurer und ich hatten die Ehre und das Vergnügen, dem Konzert (eins von weit mehr als 3.000 im Lauf ihrer Karriere) von Mani (Neumeier) und seinen Freunden für die Radio Runde Hamm beiwohnen zu dürfen. 

Zu feiern gibt es in diesem Jahr das 50-jährige Bandbestehen von Guru Guru, eine unglaubliche Zahl. Und diese gewaltige Bühnenerfahrung konnte man spüren. Erstklassige Musiker, eine grandiose Stimmung, ein extrem buntes, abwechslungsreiches Set aus der Zeit der gesamten Bandkarriere und eine beeindruckende Bühnenshow wurden den leider nur rund 100 Zuschauern geboten. Die anderen Leute schauten wohl das Championsleague-Finale oder grillten im Garten bei den sommerlich heißen Temperaturen, anstatt in die tolle Ahlener Schuhfabrik zu pilgern. Kurz und knapp: sie haben was verpasst. Es war ein unglaublich tolles, leidenschaftliches Konzert!

Mani Neumeier war sich nicht ganz sicher, ob er nicht doch schon mal in Ahlen war. Ein älterer Zuschauer wusste es besser. Vor über 40 Jahren war es, wenn ich es richtig verstanden habe. Und ein anderer Gast erzählte mir, am Anfang ihrer Karriere spielten Guru Guru für den aus heutiger Sicht unglaublichen Eintrittspreis von 60 Pfennig...

Ein Blick ins Publikum offenbarte eine selten erlebte Alterspanne, von minderjährig bis hinein ins tiefste Rentenalter. So hatte die Schuhfabrik rechts vor der Bühne vorsorglich rund zwei Dutzend Stühle aufgestellt, die dankbar genutzt wurden, sowie einige Stehtische mit Barhockern. Mein degenerierter Rücken sagte Danke.

Guru Guru trat mit vierköpfiger Besetzung auf. Klar, am Schlagwerk saß die Legende Mani Neumeier. Der hagere alte Mann wirkte fast zerbrechlich, bis er seinen Arbeitsplatz erreichte. Dahinter explodierte er förmlich! Er war eindeutig der Chef auf der Bühne, er sorgte auch für die besonderen Momente und die Show, trommelte sich die Seele aus dem Leib, moderierte, sang und sorgte für Humor. 

An seiner Seite stehen erstklassige Mitstreiter, zum Teil aus alten Zeiten. Roland Schaeffer, geboren 1950 und ehemaliges Mitglied bei „Brainstorm“, stieß schon 1975 zu Guru Guru und blieb bis zunächst 1982. Im Jahre 1995 kehrte er zurück und bereichert die Band heute mit erstklassigem Gitarrensound, Saxophon und dem südindischen Blasinstrument Nadaswaram, deren Klang wir u.a. vom großen Tempelfest der Hindu-Gemeinde in Uentrop kennen. Auf einigen Stücken sang er auch. Ein besonderer Moment war, als er Saxophon und Nadaswaram gleichzeitig blies. Gott, muss der eine Lunge haben, und das mit 68!

Ebenfalls ein alter Bekannter ist Peter Kühmstedt, der schon von 1977 bis 1979 Mitglied bei Guru Guru war und 1993 zurückkehrte. Er spielt den Bass und singt ab und zu. 

Das Quartett wird vervollständigt durch Jan Lindqvist, der seit 2016 den verstorbenen Hans Reffert ersetzt. Er ist der Hauptgitarrist der Band, singt ab und zu und brilliert besonders an der Lapsteel-Gitarre.

Wenn mich jemand fragen sollte, was Guru Guru eigentlich für eine Musik machen, so stürzt er mich in große Verlegenheit. Denn genau genommen ist das Repertoire so vielschichtig, dass man es nicht so recht zu fassen bekommt. Keins der inzwischen 32(!) Studioalben klingt wie das nächste. Und doch ist es immer genau DER Guru Guru-Sound. Klingt verwirrend, ist es auch. Da ist Rock, Spacerock, Freejazz (aus dieser Szene stammt die Urbesetzung eigentlich), jede Menge Blues, Garagenrock im Stil von Dr. Feelgood, jede Menge Ethno-Einflüsse, vor allem aus Asien und Afrika, und ganz viel Funk. Und alles groovt wie verrückt. Alles klar? Hier spielen sicherlich die Einflüsse diverser Musiker aus anderen deutschen Rocklegenden eine Rolle, die alle schon bei Guru Guru mitwirkten: Kraan, Can, Kollektiv, Cluster, Atlantis, Karthago, Amon Düül  und Embryo oder der Jazz-Superstar John Mc Laughlin. Und so wurde trotz des hohen Altersdurchschnitts in der Schuhfabrik getanzt und gezappelt was das Zeug hielt. Man konnte einfach nicht ruhig sitzen.

Und dann waren da noch diese besonderen Show-Momente: Mani Neumeier mit einer Art Piratenmütze auf dem Kopf  mit japanischer Flagge und Umhang, alle anderen Musiker mit Samurai-Stirnbändern. Mani sprach eine Art Beschwörungsformel. War das echtes japanisch? Kann ich nicht sagen. Mani meinte am Schluss verschmitzt, wenn man nichts verstanden habe, ist das nicht schlimm. War das eine Hommage an Damo Suzuki, dem legendären Sänger von Can, der 1999 auch mal Mitglied bei Guru Guru war?

Irgendwann wuchtete Mani dann eine Trommel nach vorn auf die Bühne (so wie Frederik Rabe von den Giant Rooks) und spielte dann das fantastische „Living in the woods“.

Und später dieses unwiderstehliche Schlagzeug-Solo von Mani Neumeier, in das er irgendwann das Publikum einband, das euphorisch nach einem bestimmten Takt „Hey“ grölte und tierischen Spaß hatte. Schließlich kam er mit einem Rucksack nach vorn und entleerte ihn mit lautem Scheppern. Auf der Bühne lagen nun unterschiedlichste Metallschalen und -kappen herum, auf die der (noch) 77-jährige Neumeier eintrommelte wie einst die Leute von der Show „Stomp“. Genial! Hier merkte man die musikalische Bühnenerfahrung eines halben Jahrhunderts!

Die Musiker hatten sichtlich genauso viel Spaß wie die Zuschauer. Viel zu schnell war das Konzert ans Ende gelangt. Doch das begeisterte Publikum wollte mehr. Und dann kam endlich DER sehnlichst erwartete Klassiker, mit dem wir alle aufwuchsen: „Der Elektrolurch“. Mani Neumeier in einem besonderen Kostüm mit monsterhafter Maske, voller blinkender bunter LEDs. Der heutzutage gespielte Elektrolurch hat nur noch recht wenig mit dem Original von der 1973er LP „Guru Guru“ zu tun, ist aber nach wie vor faszinierend. Und der Elektrolurch sorgt immer noch für Euren Saft in der Lüsterklemme hinter dem Stromzähler! 

Dass in das Stück inzwischen Anspielungen auf Freddy Quinns „La Paloma“, den Gnom und den rosaroten Panther eingeflossen sind, sorgte für Stimmung. Richtig lange zelebrierte Neumeier seine Kultfigur. 

Aber das Publikum war noch lange nicht satt und so gab es noch zwei weitere Zugaben. Erst danach entließ man endlich die Veteranen aus der stickig heißen Halle.

Was mir besonders in Erinnerung bleiben wird, ist die Unbefangenheit, mit der sich die Musiker wie selbstverständlich unter das Volk mischen. Sie stellen sich einfach dazu, quatschen über dies und das und beantworten Fragen. So fragte ein Mann neben mir, woher die vielen kleinen Teile von Mani Neumeiers Kette stammen. Die habe er über die Zeit hier und da gesammelt, klärt er auf. Roland Schaeffer erläuterte uns gerne das südindische Instrument Nadaswaram. Mani fragte mich, ob ich schon einmal in Südindien war, was ich leider verneinen musste. Dort klinge dieses Instrument fantastisch in den riesigen Tempeln. Der Klang halle dort scheinbar unendlich nach...

Und dann kündigte Roland Schaeffer freudig ein neues Buch über Guru Guru an, was wohl in Kürze erscheinen soll. Die Band, so Schaeffer, habe wirklich so viel in dem halben Jahrhundert erlebt, dass man das einfach niederschreiben musste. Dabei resignierte er förmlich vor der Fülle an Erinnerungen und winkte ab. Das Buch, liebe Leute, muss ich haben. 

Guru Guru hat jetzt ein neues Album herausgebracht, das 32. Studioalbum namens „Rotate“, aus dem am Samstagabend einige vielversprechende Stücke gespielt wurden. Wer die Show vom Samstagabend auf Platte haben möchte, dem sei die Doppel-CD „45 Years Live“ empfohlen, auf dem die allermeisten der am Samstagabend gespielten Stücke zu hören sind. Außerdem gibt es eine Live-DVD und Blu-ray aus dem Jahre 2015, auf dem man das Konzert im Wesentlichen nachschauen kann.

Live erleben kann man Guru Guru in unsereren Gefilden wieder am 28.9.18 im Piano Dortmund-Lütgendortmund oder im November im Rosenhof Osnabrück. 

Konzerte in der Schuhfabrik Ahlen gibt es wieder ab 1. September 2018 mit tollen Tribute-Bands von The Cure, Dire Straits, Gary Moore, U2, Simple Minds und Depeche Mode. Geht hin, es lohnt sich!